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Die heutigen Lieblinks handeln von längeren Arbeitswegen, politisch korrekten Übersetzungen, und kulturellen Blurbs.

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Der Australier Beau Miles hat eine Farm in Victoria, ist außerdem Lehrer an einem College in Frankston, nahe Melbourne, und macht sehr spannende Videos über seine Aktivitäten. Zum Beispiel baut er auf seinem Land nebenbei und als Überraschung eine Hütte für seine Frau, damit die dort ungestört schreiben kann. Oder er macht aus Müll ein Kayakpaddel. Er läuft z.B. einen Marathon über den Tag verteilt, indem er eine Meile um sein Grundstück rennt und dann etwas arbeitet, wieder um sein Grundstück rennt … der Mann ist sonderbar und ziemlich klasse. Hier geht er die 90 Meilen zum Büro zu Fuß, zum zweiten Mal im Leben. Was sehr viel öder klingt, als es ist.

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Die junge Poetin Amanda Gorman ist sicher nicht nur mir erstmals durch ihren Auftritt bei Joe Bidens Vereidigung zum 46. U.S. Präsidenten aufgefallen. Auch der Rest der Welt will gerne mehr von ihr lesen und nicht jeder Mensch ist im Englischen fit genug um die Texte im Original genießen oder auch nur verstehen zu können. Das ist der Punkt, an dem im Literaturbetrieb ÜbersetzerInnen ans Werk gehen – ein Job, den, landläufigen Ansichten zum Trotz, Google Translate und andere Maschinen nur äußerst unzureichend erledigen können. In zwei oder gar mehr Sprachen nicht nur zuhause zu sein, sondern sich auch gut in das Werk der AutorIn einfühlen zu können um die bestmögliche Übersetzung abzuliefern, das ist eine meist eher unbesungene Kunst. Manche ÜbersetzerInnen sind selbst auch erfolgreiche AutorInnen, wie z.B. Isabel Bogdan („Der Pfau“, „Laufen“), die u.A. Jane Gardam, J.S. Foer und Sophie Kinsella übersetzt hat. Die niederländische Übersetzung von Gormans “The Hill We Climb” sollte ursprünglich von der gefeierten Booker Prize Gewinnerin Marieke Lucas Rijneveld kommen. Gorman selbst hatte sie wohl mit ausgesucht.

“But the move quickly drew opprobrium. Journalist and activist Janice Deul led critics with a piece in Volkskrant asking why Meulenhoff had not chosen a translator who was, like Gorman, a “spoken-word artist, young, female and unapologetically Black”.”
(Meulenhoff ist der niederländische Verlag, in dem Gormans Werk übersetzt erscheinen soll.)

Da war ich ja erstmals schon geplättet und habe mich gefragt, was für Zeiten das sind, in denen eine „Journalistin und Aktivistin“ mit ihrem selbstgerechten Blabla dafür sorgen kann, eine doch recht kompetent wirkende Übersetzerin, die noch dazu von der Autorin höchstselbst ausgewählt wurde, aus dem Rennen zu werfen – nur, weil diese nicht schwarz genug ist. Ganz so, als ob alle Schwarzen heutzutage den exakt selben kulturellen Hintergrund und Erfahrungsschatz hätten, egal, ob sie nun aus den USA oder Afrika oder ehemaligen Kolonien in der Karibik stammen.

Der neueste Kracher ist dann jetzt die Entscheidung, den ursprünglich geplanten katalanischen Übersetzer Victor Obiols rauszukegeln. Was genau bei ihm das Problem ist, bleibt unklar. Schwarz genug ist er zwar, aber vielleicht hat er das falsche Geschlecht? Er „passe nicht“, hieß es. Ob die Entscheidung von Gormans Agenten oder vom Verlag gefällt wurde, weiß er auch nicht. Immerhin wird er wohl für seine bisherige Arbeit bezahlt.

“But if I cannot translate a poet because she is a woman, young, black, an American of the 21st century, neither can I translate Homer because I am not a Greek of the eighth century BC. Or could not have translated Shakespeare because I am not a 16th-century Englishman.”

Wenn wir überlegen, was eine Übersetzung eigentlich bedeutet, dann sind diese personellen Entscheidungen zu den niederländischen und katalanischen Übersetzungen völlig absurd. Dürfen nur noch Menschen mit demselben Hintergrundmosaik, bestehend aus Erziehung, Herkunft/Klasse, Hautfarbe, Religion, biologischem oder soziologischem Geschlecht bzw. gefühlter Identität einander übersetzen? Ist nicht eher der springende Punkt, dass Menschen mit diesen Unterschieden dennoch Empathien und Erfahrungen teilen und gegenseitig Einfühlsamkeit beweisen, über äußerliche Umstände und willkürliche Grenzen hinweg? Ist es nicht genau das, wofür wir ÜbersetzerInnen brauchen? Oder ist dieser Wahnsinn der nächste Schritt, der zur Resignation und Selbstaufgabe führt, dazu, dass wir sicherheitshalber entweder künftig lieber vermeintlich neutralen, farb-, klassen- und geschlechtslosen Maschinen wie Google Translate oder deepl vertrauen, oder aber ganz auf Übersetzungen verzichten, bevor wir die falschen Leute dafür anheuern, die nicht in unser eigenes engstirniges, popeliges, kleingeistiges Weltbild passen?

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Über Maximilian stieß ich auf ein Glossar literarischer Platitüdchen, das ich ganz fabelhaft finde.

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Das heutige Headerbild habe ich vor einigen Wochen im Hirschpark geknipst. Sonderlich viel heller ist es diese Woche nicht gewesen, daher passt es noch ganz gut.

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  • PaulineM sagt:

    Vielen Dank für die Einschätzung zu dem Übersetzungsthema. Die Empörung darüber, nach welchen Kriterien ausgewählt werden soll, ist in der ÜbersetzerInnengemeinschaft groß. Es ist einfach absurd, was da grad abläuft. Aus Angst für rassistisch, antifeministisch, falschen Glaubens oder falscher Haarfarbe gehalten zu werden, knicken die Verlage schon mal vorsorglich ein. Eigentlich wäre es ganz einfach: Es sollte in jeder Sprache die bestmögliche, einfühlsamste Übersetzung dieser wunderbaren Lyrik geschaffen werden. Hautfarbe, Geschlecht oder Alter sind da völlig falsche Qualitätsmerkmale.