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Twitter wird sehr wahrscheinliche an Elon Musk verkauft, wie zu lesen steht. (Nein, es ist noch nicht verkauft, denn dazu müssen die Aktionäre erst ihr Ja-Wort geben, was nicht alle, wenngleich vermutlich die Mehrheit unter ihnen tun werden. Aber der Vorstand hat sein Placet gegeben und das ist schon die halbe Miete.) Was ich dazu lese ist: WIR WERDEN ALLE STÖRBEN!!!11

Meine Timeline dreht komplett frei und sucht nach dem Absprung, den sie nicht schaffen wird, in eine Alternative, die es nicht gibt. Wie auch fast alle wissen, die länger als zwei, drei Jahre dabei sind. Drohungen, Twitter zu verlassen, gibt es seit es Twitter gibt. Bei jeder Neuerung oder Änderung der Funktionalitäten, von 140 auf 280 Zeichen („hast du kein Blog für deine Romane?!“), bei der Einführung von Bewegtbildern („sind wir hier auf YouTube?!“), als Favs nicht länger durch Sterne, sondern durch Herzen gekennzeichnet wurden („sind wir hier auf Facebook?!“) – immer gab es etwas zu stänkern. Nach 48 Stunden hat man sich daran gewöhnt und weiß nicht mehr, warum man sich aufgeregt hat. Denn am Ende hatte das Ganze null Einfluss aufs eigene Leben.

Alternativen gibt es nicht wirklich; Teile der Herde sind immer mal wieder von der grünen Weide auf die vermeintlich grünere nebenan gezogen; wir waren bei Diaspora, Ello, Path und vielen anderen Plattformen, die nicht nur ich längst vergessen habe. Social Media Jahre sind wie Hundejahre. Irgendwann vor etwa 8-10 (tatsächlichen) Jahren hat sich das Fediverse gegründet, eine Ansammlung bzw. Föderation von hunderten kleinerer und größerer Planeten, die teils von Idealisten, teils von Größenwahnsinnigen, teils von Minidiktatoren, teils von politischen Aktivisten betrieben werden und, sehr vereinfacht gesagt, unter dem Namen Mastodon bekannt sind. Wobei „bekannt“ ein ziemlicher Euphemismus ist.

Früher™ wären das Foren gewesen; themenorientiert. Neu daran ist, dass die einzelnen Forenmitglieder gewissermaßen Leuten folgen können, die in einem anderen Forum aktiv sind, ohne jedoch ihr eigenes Forum verlassen zu müssen. Das funktioniert in der Nische relativ gut, aber für die Masse nicht. Das kann gar nicht funktionieren. Denn jede einzelne Instanz, jedes eigene Forum, jeder einzelne Planet dieser Föderation hat natürlich eigene Regeln, Werte und Interessen, die geschriebenen und die ungeschriebenen. Wie will man sich da mühelos mit denen aus der anderen Ecke des Weltalls austauschen, ohne, dass es zu gravierenden Kommunikationsmissverständnissen führt? Das funktioniert ja nicht einmal auf Twitter. Es ist wie mit Leuten, die mehrere verwandte Sprachen oder Dialekte sprechen: Wer Deutsch spricht, wird auch ein wenig Niederländisch, Platt oder Jiddisch verstehen und umgekehrt; Norweger, Schweden, Finnen, Isländer und Dänen können sich ohne allzu große Probleme miteinander verständigen, aber die Feinheiten gehen verloren, das sehen wir schon innerhalb unseres Landes bei Unterhaltungen zwischen Ostfriesen und Sachsen oder Berlinern und Schwaben.

Natürlich habe ich einen Account bei Mastodon angelegt, irgendwann 2017 oder 18, beim letzten vermuteten Exodus von Twitter, ich weiß nicht einmal mehr den Anlass, aber es war WICHTIG! UND EMPÖREND! Ich weiß offen gestanden immer noch nicht, was ich da soll. Der wird jetzt eine Weile bespielt, aber rasch wieder im Dornröschenschlaf versinken, bis zur nächsten Empörungswelle.

Die Furcht – respektive Hoffnung – ist es, dass Elon Musk Twitter von Grund auf umkrempeln wird. Mag sein, dass er das tut, aber es wird kein leichtes Unterfangen sein. Der Mann hat nicht nur anderes zu tun, er hat auch klar die Aufmerksamkeitsspanne eines präadoleszenten Goldfischs. Er wird vermutlich Trump seinen Account wiedergeben, falls der ihn überhaupt zurück haben will. Dann blocken oder folgen wir Trump halt alle wieder, ja und?

Etwa 0,5-1,5 Prozent der NutzerInnen werden zumindest kurzfristig abwandern, hüben wie drüben, links wie rechts. Eine ganz und gar nicht repräsentative und höchst persönliche Einschätzung besagt das. Ich habe seit der Ankündigung, dass Elon Musk Twitter kaufen will, 20 Follower verloren, Taylor Swift hat etwa 100.000 Follower verloren, das entspricht bei uns beiden weniger als 1 % der Gesamtzahl. Und erfahrungsgemäß kommt die Hälfte davon nach ein paar Tagen zurück. (Also, meinen Erfahrungen nach; wie es bei Taylor Swift ist, weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht einmal genau, wer das ist. Irgendwas mit Musik, oder?)

Twitters Bedeutung wird künstlich aufgeblasen von den Medien, die seit rund fünfunddreißig Jahren nicht mehr so ganz verstehen, warum sie fast stündlich irrelevanter geworden sind. Elon Musk hatte die 43 Mrd. US-Dollar nicht in der Nachttischschublade herumliegen, er musste sich schon etwas strecken, um sie zu bekommen. Die Geldgeber werden Resultate sehen wollen. Sie werden recht bald ernüchtert sein: Mit Twitter ist kein großes Geld zu verdienen. Und Musk wird sich nach kurzer Zeit wieder seinen anderen Steckenpferden zuwenden. Auf Twitter wird alles wie immer laufen. Denn nichts ist beständiger als der Wandel.

“If I were to leave this app, it wouldn’t be for a substitute. It would be to reclaim my sanity and my time. The time I previously spent on here, I’d use to work in my garden, make more comics, be with my family, and run.” twittert – So schreibt @OgTheArtist, ein Künstler, dem ich folge.

Ich würde es wohl genauso halten.

Update [1.5.22] Mio in Mrd korrigiert. Danke für den Hinweis in den Kommentaren.

Übrigens schalte ich Kommentare mit offensichtlich gefaketen Mailadressen nicht frei, auch, wenn sie grundsätzlich positiv oder harmlos sein mögen. Bleibt Ihr mal schön auf Facebook.

Join the discussion 3 Comments

  • Klaudia sagt:

    Hallo Kiki,
    sehr schöner Kommentar!
    Ich habe mich prächtig amüsiert und hatte ein deja vue, weil mir das alles auch so verdächtig bekannt vorkommt 😉 .
    Ich nutze Twitter ja nicht, daher betrifft es mich nicht, aber bei anderen Plattformen ist es ja genau dasselbe.
    Facebook wurde ja auch schon x-mal totgesagt.
    Ich finde es wirklich großartig, daß wir uns hier im Internet austauschen können, aber daß das alles über Plattformen wie Twitter, Facebook und wie sie alle heißen läuft, ist nicht das Wahre, allein den Stein der Internet-Weisen, wie man das besser machen könnte, hat noch niemand erfunden, leider und so werden wir wohl erstmal weiter mit Twitter, Facebook und Co. leben müssen…
    Viele Grüße
    Klaudia

  • Klaudia sagt:

    P.S: Jetzt habe ich doch glatt noch was vergessen.
    „Elon Musk hatte die 43 Mio. US-Dollar…“ Es sind 43 Milliarden (Mrd.) Dollar, nicht Millionen (Mio.)!
    Ich weiss, für uns kleine Leute, die sich täglich Gedanken darüber machen, wie viele Cent die Milch kostet sind solche Summen völlig unvorstellbar… Millonen, Milliarden, Billionen, Fantastillionen… ist irgendwie alles dasselbe, wenn man mit solchen Beträgen eh nie zu tun haben wird 😉 , aber es sind tatsächlich Millarden und die hat selbst Elon Musk nicht in der Nachtischschublade rumliegen… bei 43 Millionen wäre ich bei ihm da nicht sicher 😉 …

  • Genau das. Ich grüße dich herzlich und vollkommen unaufgeregt.